Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 75: Tagebuch von Bernhardine Alma, 13. Mai 1916, Wien

NL 09 Alma Bernhardine 1916 05 13Die Wienerin Bernhardine Alma (geb. 1895) und ihre zwei älteren Schwestern Cora (geb. 1890) und Sigrid Alma (geb. 1891) waren 1915 und 1916 systematisch damit beschäftigt, Heirats-Annoncen aufzugeben bzw. zu beantworten. In ihrem Tagebuch beschrieb sie, wie sie – und auch die Heirats-Kandidaten – dabei vorgegangen sind. Die Schilderung des Besuches eines jungen Mannes in der Familienwohnung, der sie dabei von der zu erledigenden Hausarbeit abhielt, zeigt, wie sie sich einen standesgemäßen Ehemann bzw. das Heiraten vorstellte. Am Beispiel der Familie Alma wird zudem sichtbar, wie sich durch die kriegebedingt erzwungene Mobilität auch die Partner/innen-Auswahl änderte. Cora Alma hatte einen aus dem rumänischen Teil der Monarchie stammenden Offizier geheiratet und war Anfang Mai 1916 zu ihm in die Etappe nach Bosnien-Herzigowina gezogen.

13. Mai 1916, abends Samstag
Gestern konnte ich nicht herein schreiben. Sigrid (sie hatte sich schon nieder gelegt) fiel ein, dass sie noch etwas in ihrem Atelier vergessen hatte [sie war Fotografin], sie ging hin u. da es schon sehr abends war, ging ich mit. Auf diese Art konnte ich nicht [in das Tagebuch] herein schreiben und habe somit Einiges zum Nachholen.
Gestern bekam ich einen Brief von der Cora und war Waschtag, hatte ich somit sehr viel zu tun (an anderen Tagen auch).
Im R. K. [Dienst beim Roten Kreuz] waren mehrere Damen da, von mir nämlich [die ihr bei Schreibarbeiten halfen] und brachte mir der Diener einen Brief von der Fliegerleutnant[-Zeitungs]-Annonze. Er heißt Adrian B. (?) schreibt reizend und schickte zwei kleine Fotografien mit. Auf der einen ist er im Schützengraben oder wo. Aber sein Gesicht sah man nirgends recht deutlich.
Heute gab ich die Antwort an ihn mit einer Fotografie, wo Pa [Vater Maximilian Alma] mit seinen Kollegen etz. drauf ist, auf. Hoffentlich antwortet er bald.
Heute war es ödartig im R. K. Die Frau Rat war gestern und heute da und hat zuhause 100 Karten geschrieben. Beim Heimweg ging ich in die Stefanskirche beichten, obwohl ich infolge eines dummen Traumes eine Beicht-Scheu hatte. Aber der Priester war sehr nett und es war ziemlich gut. Dann bekam ich heute eine [Feldpost-]Karte vom St. Und hatte einen guten Griesschmarrn zum Nachtmahl, von dem gestrigen Griesstrudel.
Dann war heute Vormittag der Lt [Leutnand] da, der vor einiger Zeit der Cora geschrieben hatte, auf eine Annonze im Wr. Journal. Ich hätte eigentlich bügeln sollen und so mußte ich mir das für morgen lassen und dem Lt. Gesellschaft leisten. Er gilt als ein Kollege des Sergius [dem jungen Ehemann von Cora] und ich half ihm taktvoll über manche Schwierigkeiten hinweg. Er ist sehr groß und stark, hat eine hübsche Figur und ein bartloses Gesicht. Ich glaub, ich könnte Vertrauen und Achtung zu ihm haben, ob ich ihn aber küssen könnte, weiß ich nicht. Er hat auffallend schöne Zähne, scheint nicht gerade geistreich, aber ausnehmend gutartig zu sein. Ein Mann, wie ich ihn brauchen könnte, wenn ich schon nicht den idealen Arzt bekomme, der mich hypnotisiert, oder den reichen Grafen, der mir diesen Arzt hält – oder meinen kleinen G. [den sie im Rahmen von organisierten Besuchen bei höherrangigen Soldaten in Wiener Krankenhäusern kennengelernt hatte].
Was mich aber gegen den neuen Lt einnimmt ist weniger, daß Cora ihm schrieb, als mehr noch, daß sie ihm überhaupt wegen Sigrid schrieb und erst nach seinem ersten Brief er für mich bestimmt wurde. Und dabei will ich ja gar nicht so durchaus heiraten – wenn Sigrid (nach ihrem Wunsch) verheiratet ist, bleibe ich gerne noch 1–2 Jahre zuhause. Möchte aber vor meinem 24. Geburtstag heiraten und dann theaterspielen. [1915 waren Bernhardine Almas Schwestern 25 und 26 Jahre alt.]
Was den Lt betrifft, dessen Namen ich mir nicht merkte, so sagte er brav „Küßdiehand“ und zeigte mir sehr nette Aufnahmen vom Feld, auch seinen Flieger-Bruder, und erzählte vom Krieg, tat sehr begeistert nun und will wieder kommen (er fährt heute nach Hause), bat, ob ich dann ihm Wien zeigen wolle, ob ich eine Garde [passende Kleidung?] hätte, um mit ihm ins Theater zu gehen – und dann bat er um meine Adresse [im Roten Kreuz], um mir zu schreiben – ob ich ein Telefon habe, wann meine Amtsstunden seien – und mitunter glaubte ich zu merken, daß ich ihm sehr gefiel. Nun, es wird sich zeigen. – Ich wäre im Stand, jemand, den ich gerne habe, bis zur Besinnungslosigkeit, wahnsinnig zu lieben. Ob ich ihn gern haben könnte?
Und vorläufig will ich ja nicht heiraten, sondern die Sigrid. –
Morgen beginnt eine neue Woche. Was wird sie bringen? –

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

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Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 75, Tagebuch von Bernhardine Alma, 13. Mai 1916, SFN NL 09, unter: URL